Auffassungen Ludwig von Mises‘

Frieden – Ludwig von Mises

  1. Frieden.

Es gibt edle Menschen, die den Krieg verabscheuen, weil er Tod und Wunden bringt. Wir können nicht umhin, die Menschenliebe, die in diesem Argument steckt, zu bewundern. Doch das philanthropische Moment scheint viel oder alles von seiner Kraft zu verlieren, wenn wir die Ausführungen der Anhänger und Befürworter des Krieges vernehmen. Die leugnen gar nicht, daß der Krieg auch Schmerz und Leid bringt. Doch sie meinen, daß der Krieg und nur der Krieg imstande ist, die Menschheit weiter zu bringen. Der Krieg sei der Vater aller Dinge, sagt ein griechischer Philosoph, und Tausende haben es ihm nachgesprochen. Der Mensch verdorre im Frieden, nur der Krieg erwecke in ihm die schlummernden Fähigkeiten und Kräfte und führe ihn zum Höchsten. Würde der Krieg ausgerottet werden, dann würde die Menschheit in Schlaffheit und Mattheit verkommen.

Ludwig von Mises

Es ist schwer oder gar unmöglich, gegen diese Beweisführung der Kriegsfreunde aufzukommen, wenn man gegen den Krieg nichts anderes geltend zu machen weiß als das, daß er Opfer verlangt. Denn die Anhänger des Krieges sind doch eben der Meinung, daß diese Opfer nicht umsonst dargebracht werden, und daß der Preis des Einsatzes wert sei. Wenn es wirklich wahr sein sollte, daß der Krieg der Vater aller Dinge ist, dann sind die Menschenopfer, die er kostet, notwendig, um die allgemeine Wohlfahrt und den Fortschritt der Menschheit zu fördern. Man mag die Opfer wohl beklagen, man mag auch trachten ihre Zahl herabzusetzen, doch man darf darum den Krieg nicht abschaffen und den ewigen Frieden herbeiführen wollen.

Die liberale Kritik der Kriegstheorie unterscheidet sich aber grundsätzlich von der der Philanthropen; sie geht davon aus, daß nicht der Krieg, sondern der Frieden der Vater aller Dinge ist. Das, was die Menschheit allein vorwärts bringt und sie vom Tier unterscheidet, ist die gesellschaftliche Kooperation. Die Arbeit allein ist es, die aufbaut, reich macht und damit die äußeren Grundlagen für inneres Gedeihen des Menschen legt. Der Krieg zerstört nur, er kann nie aufbauen. Den Krieg, den Mord, die Zerstörung und Vernichtung haben wir mit den reißenden Tieren des Waldes gemein, die aufbauende Arbeit ist unsere menschliche Eigenart. Der Liberale verabscheut den Krieg nicht wie der Philanthrop, obwohl er nützliche Folgen haben soll, sondern weil er nur schädliche Folgen hat.

Der philanthropische Friedensfreund tritt an den Mächtigen heran und sagt ihm: „Führe keinen Krieg, wenn du auch Aussicht hast, durch einen Sieg deine eigene Wohlfahrt zu fördern. Sei edel und großmütig und verzichte auf den dir winkenden Sieg, wenn es dir auch ein Opfer, den Entgang eines Gewinnes bedeutet.“ Der Liberale denkt anders. Er ist der Überzeugung, daß der siegreiche Krieg auch für den Sieger ein Übel ist, daß Frieden immer noch besser ist als Sieg. Er verlangt vom Starken keine Opfer, sondern nur das, daß er sein wahres Interesse erfasse und verstehen lerne, daß der Frieden auch für ihn, den Starken, ebenso vorteilhaft ist wie für den Schwächeren.

Wenn ein friedliebendes Volk von einem kriegslustigen Gegner angegriffen wird, dann muß es sich zur Wehr setzen und alles tun, den Ansturm der Feinde abzuwehren. Wenn in einem solchen Kriege von denen, die um ihre Freiheit und um ihr Leben kämpfen, Heldentaten vollbracht werden, so sind sie lobenswert, und mit Recht preist man die Mannhaftigkeit und Tapferkeit solcher Kämpfer. Hier sind Kühnheit, Unerschrockenheit, Todesverachtung lobenswert, weil sie im Dienste eines guten Zweckes stehen. Aber man hat den Fehler begangen, diese soldatischen Tugenden als absolute Tugenden hinzustellen, als Eigenschaften, die an und für sich gut sind, ohne Rücksicht auf den Zweck, in dessen Dienst sie stehen. Teilt man diese Meinung, so muß man folgerichtig auch die Kühnheit, Unerschrockenheit und Todesverachtung des Räubers als edle Tugend anerkennen. Doch in Wahrheit gibt es nichts, was an und für sich gut oder böse ist; gut und böse werden menschliche Handlungen immer nur durch den Zweck, dem sie dienen, und die Folgen, die sie nach sich ziehen. Auch Leonidas wäre nicht der Anerkennung wert, die wir ihm zollen, wäre er nicht als Verteidiger seiner Heimat gefallen, sondern als Führer einer Angriffsarmee, die ein friedliches Volk seiner Freiheit und seines Besitzes berauben wollte.

Die Schädlichkeit des Krieges für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation ergibt sich klar für jeden, der den Nutzen der Arbeitsteilung erkannt hat. Die Arbeitsteilung macht aus dem Menschen, der sich selbst genug ist, das von den Mitmenschen abhängige ζωον πολιτιχόν, das Gesellschaftswesen, von dem Aristoteles sprach. Wenn ein Tier gegen das andere, ein in Wildheit lebender Mensch gegen den anderen feindselig auftreten, dann ändert sich dadurch nichts an den wirtschaftlichen Voraussetzungen und Grundlagen ihrer Existenz.

Wenn aber in einer Gemeinschaft, die die Arbeit unter ihre Mitglieder verteilt hat, ein Streit ausbricht, der durch feindliche Handlungen ausgetragen werden soll, dann steht die Sache anders. Hier sind die einzelnen in ihrer Verrichtng spezialisiert; sie sind nicht mehr imstande, unabhängig zu leben, weil sie auf die gegenseitige Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Selbstgenügsame Landwirte, die auf ihren Höfen alles das erzeugen, was sie und ihre Familien zum Leben brauchen, können sich gegenseitig befehden. Doch wenn in einem Dorf eine Parteiung entsteht und auf der einen Seite der Schmied und auf der anderen Seite der Schuhmacher stehen, so muß die eine Partei an Schuhen, die andere an Werkzeugen und Waffen Mangel leiden. Der Bürgerkrieg zerstört so die Arbeitsteilung, weil er jede Gruppe zwingt, sich an der Arbeit ihrer Parteigenossen Genüge sein zu lassen. Hat man die Möglichkeit solcher Feindseligkeiten im Auge, dann wird man von vornherein die Arbeitsteilung sich nicht so stark entwickeln lassen dürfen, daß man dann, im Falle es wirklich zum Kampf kommt, Mangel leidet. Die Entfaltung der Arbeitsteilung ist nur soweit möglich, als die Gewähr ewigen friedlichen Zusammenlebens geboten ist. Die Arbeitsteilung kann sich nur unter dem Schutze eines gewährleisteten Friedens entwickeln. Wo diese Voraussetzung fehlt, überschreitet die Arbeitsteilung nicht die Grenzen des Dorfes oder nicht einmal die des einzelnen Familienhauses. Die Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land – daß nämlich die Bauern der umliegenden Dörfer in die Stadt Getreide, Vieh, Milch und Butter liefern und von den Städtern gewerbliche Erzeugnisse eintauschen – setzt schon voraus, daß wenigstens innerhalb der einzelnen Landschaften der Frieden gesichert ist. Soll die Arbeitsteilung das Gebiet eines ganzen Volkes umfassen, so müssen Bürgerkriege außerhalb des Bereiches der Möglichkeit liegen; soll sie die ganze Welt umspannen, so muß ewiger Frieden zwischen den Völkern gesichert sein.

Jedem Zeitgenossen müßte es als platter Widersinn erscheinen, wenn sich eine moderne Großstadt, etwa London oder Berlin, darauf einrichten wollte, gegen die Bewohner der angrenzenden Teile des flachen Landes Krieg zu führen. Doch viele Jahrhunderte lang haben die Städte Europas auch diese Möglichkeit ins Auge gefaßt und sich wirtschaftlich darauf eingestellt. Es gab Städte, deren Befestigungsanlagen von vornherein so gebaut waren, daß sie im Notfalle mit Hilfe von Viehhaltung und Getreidebau innerhalb der Stadtmauern eine Zeitlang durchhalten konnten.

Noch im Anfang des 19. Jahrhunderts zerfiel der weitaus größere Teil der bewohnten Erde in eine Reihe von kleinen Wirtschaftsgebieten, die sich im großen und ganzen selbst genügten. Selbst in den höher entwickelten Teilen Europas wurde der Bedarf eines Landstriches zum größeren Teile durch die Produktion im Landstrich selbst gedeckt. Der Handel, der über das enge Gebiet der Nachbarschaft hinausging, war verhältnismäßig gering und umfaßte im großen und ganzen nur solche Waren, die wegen der klimatischen Verhältnisse im Lande selbst nicht erzeugt werden konnten. In dem weitaus größeren Teile der Welt wurde aber nahezu der ganze Bedarf eines Dorfbewohners durch die Produktion des Dorfes selbst gedeckt. Für diese Dorfbewohner bedeutete eine durch den Krieg eingetretene Störung in den Handelsbeziehungen überhaupt keine wirtschaftliche Beeinträchtigung. Aber auch die Bewohner der fortgeschritteneren Teile Europas litten darunter nicht allzu stark. Wenn die Kontinentalsperre, die Napoleon I. über Europa verhängte, um die englischen und die nur durch Vermittlung Englands erreichbaren überseeischen Waren auszuschließen, auch schärfer durchgeführt worden wäre, so hätte sie dem Kontinentalbewohner keine allzu fühlbaren Entbehrungen auferlegt. Wohl hätte er auf Kaffee und Zucker, auf Baumwolle und Baumwollwaren, auf Gewürze und manche seltenen Hölzer verzichten müssen; aber all diese Dinge spielten im Haushalt der weiten Schichten damals eine nur untergeordnete Rolle. Die Dichte der weltwirtschaftlichen, der internationalen Beziehungen ist ein Produkt des Liberalismus und Kapitalismus des 19. Jahrhunderts. Durch sie erst wurde die weitgehende Spezialisierung der modernen Produktion und damit die großartige Vervollkommnung der Technik ermöglicht. Um den englischen Arbeiter in seinem Haushalt mit all dem zu versehen, was er gebrauchen und verbrauchen will, wirken alle Länder der fünf Weltteile zusammen. Tee für den Frühstückstisch liefern Japan oder Ceylon, Kaffee Brasilien oder Java, den Zucker Westindien, das Fleisch Australien oder Argentinien, den Wein Spanien oder Frankreich; die Wolle kommt aus Australien, die Baumwolle aus Amerika oder Ägypten, die Häute für das Leder aus Indien oder Rußland usf. Und im Austausch dafür gehen englische Waren in die ganze Welt, in die fernsten und entlegensten Dörfer und Gehöfte. Diese Entwicklung war nur möglich und denkbar, weil man die Vorstellung, es könnte je wieder zu großen Kriegen kommen, seit dem Sieg der liberalen Ideen nicht mehr ernst nahm. Zur Zeit der höchsten Blüte des Liberalismus hielt man allgemein Kriege zwischen den Angehörigen der weißen Rasse für immerdar als abgetan. Doch es kam anders. Die liberalen Ideen und Programme wurden durch Sozialismus, Nationalismus, Protektionismus, Imperialismus, Etatismus, Militarismus verdrängt. Hatten Kant und Humboldt, Bentham und Cobden das Lob des ewigen Friedens verkündet, so kamen jetzt Männer, die nicht müde wurden, den Krieg und den Bürgerkrieg zu preisen. Und sie hatten nur allzubald Erfolg. Das Ende war der Große Krieg, der unserer Zeit eine Art Anschauungsunterricht für das Problem der Unverträglichkeit des Krieges mit der Arbeitsteilung gegeben hat.

Ludwig von Mises, Liberalismus, 1927, Seite 20 ff.

http://www.ordnungspolitik.ch/wp-content/uploads/2014/01/Mises_Liberalismus-1.pdf